Schon viele Jahre ist ein wirksamer Schutz vor Strassenlärm schweizweit, im Kanton, aber auch in der Stadt Zürich, gravierend vernachlässigt worden. Die Stadt Zürich ist dabei von dieser Frage am stärksten betroffen. Rund 140’000 Personen, also ein Drittel der gesamten Bevölkerung der Stadt, leben an Strassen, wo die Lärmbelastung die Immissionsgrenzwerte der Lärmschutzverordnung überschreitet. Im ganzen Kanton Zürich sind es rund 300’000 Personen. Dabei verlangt das Bundesumweltrecht seit 1985, dass die Bevölkerung wirksam vor Strassenlärm zu schützen sei.
Angesichts dieses hohen Problemdrucks ist es bemerkenswert, dass ein Umweltverband wie der VCS Zürich einen wirksamen Lärmschutz für die Bevölkerung gegen den Zürcher Stadtrat in vielen Gerichtsverfahren überhaupt erst einfordern musste. Immerhin: Der Zürcher Stadtrat hat seine langjährigen Versäumnisse mittlerweile korrigiert und will nun mit einem sogenannten Geschwindigkeitsplan den Lärmschutz für viele Personen endlich umsetzen.
Rechtlich ist es klar und eindeutig, dass Tempo 30 als wirksame Massnahme an der Quelle gilt. Das hat nun auch der Regierungsrat entschieden. Er hat deshalb einen Rekurs des VCS an überkommunalen Strassen in den Kreisen 1, 4 und 5 gutgheissen. Der VCS hatte einen solchen eingereicht, weil der Zürcher Stadtrat Tempo 30 überkommunalen Strassen noch kategorisch abgelehnt hatte.
Militant passiv, wenn es darum geht, die Bevölkerung vor übermässigem Lärm zu schützen
Während der Entscheid des Regierungsrates einem eigentlichen Kurswechsel in dieser Frage gleichkommt, ist die lange Dauer bis zu diesem Entscheid ärgerlich. Explizit wird im Regierungsratsbeschluss festgehalten, dass der Schriftenwechsel schon am 17. April 2019 abgeschlossen worden sei. Mehr als drei Jahre hat also die Volkswirtschaftsdirektion gebraucht, um den Entscheid zu formulieren (teilweise wurde dabei einfach ein Baurekursgerichtsentscheid abgeschrieben) und ins Gesamtgremium zu bringen. Das Baurekursgericht brauchte für den gleichen Entscheid an kommunalen Strassen nur geradein halbes Jahr. Diese lange Behandlungsdauer ist umso unverständlicher, als die Volkswirtschaftsdirektorin in ihrer früheren Tätigkeit gesetzgeberisch auf schnelle Entscheide gedrängt hatte. Als Kantonsrätin hatte die heutige Volkswirtschaftsdirektorin, Carmen Walker Späh, auf eine radikale Verkürzung der Entscheidungsfristen im Kanton Zürich von drei Monaten hingearbeitet. Seit 2008 steht im kantonalen Planungs- und Baugesetz als politischer Kompromiss: «Die kantonalen Behörden entscheiden über ein Rechtsmittel innert sechs Monaten nach dessen Eingang.» Es ist deshalb doch bemerkenswert, dass eine Volkswirtschaftsdirektorin für schnelle Entscheide nur von Fall zu Fall einsteht. Der Schutz der Bevölkerung vor übermässigem Strassenlärm, immerhin ein Bundesauftrag seit 1985, von dem in den Innenstadtkreisen 1, 4 und 5 doch immerhin 12'000 Personen betroffen sind, gehört somit zu den Fällen, wo die Volkswirtschaftsdirektorin ihre eigenen Prinzipien komplett in den Wind schlägt.
Zu hoffen bleibt, dass ein wirksamer Lärmschutz für die Bevölkerung vom Regierungsrat nun nicht nur rechtlich verlangt, sondern auch rasch realisiert wird. Zürich und Winterthur haben immerhin schon Konzepte. Doch viele andere Gemeinden im Kanton Zürich haben hier noch Nachholbedarf. Die rasche Einführung von Tempo 30 als reine Signalisationsmassnahme könnte an vielen stark befahrenen Strassen eine deutliche Verbesserung der Lärmsituation bringen. Gerade Ortsdurchfahrten, wo viele lärmbetroffene Menschen wohnen und entsprechend auch Querungsbedürfnisse für Schulkinder, Einkaufs- und Freizeitwege vorhanden sind oder der Zugang zu Haltestellen des öffentlichen Verkehrs Strassenübergänge nötig machen, müssten im Fokus stehen. Mit Umbaumassnahmen im Rahmen von Strassenbauprojekten kann die Lebensqualität an vielen Orten noch zusätzlich verbessert werden.